Manchmal sind die besten Spiele die, die eigentlich ganz anders gedacht waren. „Octopath Traveler 0“ ist so ein Fall: Ein Spiel, das seine Ursprünge in einem japanischen Mobile-Gacha-Titel hat, nun aber auf allen modernen Konsolen und PC als vollwertiges JRPG ohne Monetarisierungsquatsch erscheint und sich dabei erstaunlich oft wie ein verlorenes 16-Bit-Meisterwerk anfühlt. Klingt widersprüchlich? Ist es auch. Aber auf eine ziemlich spannende Art.

Das gute alte HD-2D

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: „Octopath Traveler 0“ sieht fantastisch aus. Square Enix’ HD-2D-Stil ist mittlerweile fast schon ein eigenes Retro-Subgenre, aber ich werde nicht satt davon. Pixelcharaktere bewegen sich durch liebevoll ausgeleuchtete 3D-Umgebungen, Lichtquellen setzen Akzente, Wasser spiegelt, Städte fühlen sich lebendig an.

Genau so habe ich die alten JRPGs in Erinnerung – obwohl sie in Wirklichkeit etwas weniger hübsch waren. Trotzdem: Es erinnert an SNES-Klassiker, ohne jemals museal zu wirken. Auch der Soundtrack reiht sich problemlos in diese Nostalgie ein: Melancholische Melodien, epische Boss-Themes, ruhige Dorfmusik – alles sehr klassisch, alles sehr „Octopath“. Als großer RPG-Maker-Fan, kommen bei mir Nostalgie-Gefühle auf und zwar von Anfang an.

Ein etwas anderes Octopath

Wer die ersten beiden „Octopath Traveler“ gespielt hat, sollte allerdings wissen: „Octopath Traveler 0“ ist kein klassischer Serienteil. Statt acht klar definierter Hauptfiguren mit jeweils eigener Kampagne bekommen wir hier eine größere, flexiblere Party und eine eher episodische Struktur. Insgesamt erhaltet ihr im Laufe des Spiels sogar über 30 Figuren, die sich eurer Party anschließen.

Octopath Traveler 0 Power-Route
Die Geschichte entfaltet sich in thematischen Arcs – hier der Pfad der Macht rund um den Tyrannen Tytos.

Das liegt am Ursprung des Spiels, der sich nicht komplett verleugnen lässt. Die Geschichte entfaltet sich in Arcs, Kapitel bauen lose aufeinander auf. Ihr folgt in der Geschichte drei große Pfade: Ruhm, Reichtum und Macht. Jeder dieser Pfade ist ein eigener Arc mit einem eigenen großen Gegenspieler. Dadurch bekommt aber nicht jede Figur die gleiche erzählerische Tiefe, wie in den anderen Teilen der Reihe. Manche Charaktere bleiben lange Begleiter, andere fühlen sich eher wie temporäre Weggefährten an. Das kann man kritisch sehen oder als bewusste Hommage an alte JRPGs, in denen nicht jedes Partymitglied ein seitenlanges Charakterporträt bekam. Für einige könnte Letzteres sogar besser funktionieren. Wenn ihr euch aber komplett in einer Welt verlieren wollt, kratzt das natürlich an der Immersion.

Klassisch, manchmal holprig, oft überraschend stark

Inhaltlich erzählt „Octopath Traveler 0“ eine klassische „From Zero to Hero“-Geschichte. Der Protagonist, den ihr diesmal sogar etwas anpassen könnt, lebt in einem idyllischen Dorf. Dieser Frieden nimmt natürlich ein jähes Ende und fast alle um euch herum werden abgeschlachtet. Rache, Macht, Hoffnung, Verrat – alles dabei. Große Themen, klar gezeichnete Antagonisten, viel Pathos. Gerade in den späteren Abschnitten zieht die Geschichte deutlich an und entwickelt eine emotionale Wucht, die man dem Spiel anfangs vielleicht nicht zutraut. Allerdings gibt es einen großen Haken: „Octopath Traveler 0“ ist komplett auf Englisch. Deutsche Texte? Fehlanzeige.

Octopath Traveler 0 Commander Tytos
Das idyllische Anfangsdorf wird bereits früh in Schutt und Asche gelegt.

Neben einer fehlenden Übersetzung ist auch das Pacing nicht immer gelungen. Manche Storyabschnitte wirken hastig, andere ziehen sich. Übergänge zwischen einzelnen Arcs können sich etwas fragmentiert anfühlen, was vermutlich ebenfalls auf die mobile Herkunft zurückzuführen ist. Ich feiere genau diese epische, fast schon altmodische Erzählweise. Denn ja, wenn „Octopath Traveler 0“ zündet, dann richtig. Auch, wenn nicht alles sauber ineinandergreift. Insgesamt ist die Handlung kein perfekt gestrafftes Epos, sondern eher ein Roman aus mehreren zusammengebundenen Heften.

Rundenstrategie in Bestform

Unangefochtene Stärke des Spiels ist das Kampfsystem. Das bekannte Break-&-Boost-System kehrt zurück und fühlt sich besser an denn je. Gegner haben Schwächen, die man gezielt ausnutzen muss, um ihre Schilde zu brechen. Timing, Ressourcenmanagement und Partyzusammenstellung sind entscheidend. Gerade für Retro-Fans ist das ein Traum: rundenbasiert, taktisch, anspruchsvoll, ohne unnötige Komplexität. Wer einfach nur Attacken spammt, wird gnadenlos bestraft. Besonders Bosskämpfe verlangen Planung, Anpassung und manchmal auch mehrere Anläufe – ganz wie früher.

Octopath Traveler 0 Kampf
In den Kämpfen befehligt ihr gleichzeitig acht Gruppenmitglieder in Vorder- und Hinterreihe.

Neu ist, dass man eine größere Party verwaltet, was zusätzliche strategische Optionen eröffnet, aber auch das Balancing manchmal etwas ins Wanken bringt. Acht Charaktere nehmen an den Kämpfen diesmal teil. Nicht jede Mechanik fühlt sich perfekt integriert an und manche Kämpfe wirken leichter oder schwerer als beabsichtigt. Vor allem, wenn man normale Kämpfe mit den Bosskämpfen vergleicht. Trotzdem: Das Grundsystem trägt das Spiel locker über Dutzende Stunden.

Städtebau: Ganz charmant

Eine der auffälligeren Neuerungen ist der Städtebau-Aspekt. Man errichtet und erweitert eine Siedlung, schaltet neue Funktionen frei und beeinflusst so den Spielfortschritt. Die Idee ist charmant und passt thematisch gut in das „Aufbau aus dem Nichts“-Motiv. In der Praxis bleibt das System allerdings eher oberflächlich. Es ist nett, eine Stadt wachsen zu sehen, aber die Entscheidungen sind selten wirklich schwerwiegend. Für ein Retro-RPG ist das völlig okay. Niemand erwartet hier ein „SimCity“, doch das Potenzial wird nicht voll ausgeschöpft.

Octopath Traveler 0 Zerstörtes Dorf
Das Städtebau-System in Wishvale lässt dich deine eigene Siedlung nach und nach erweitern.

Einer der größten Pluspunkte von „Octopath Traveler 0“ ist etwas, das man nicht sieht: das Fehlen von Gacha-Mechaniken. Wo das Mobile-Original auf Zufall, Währungen und Wartezeiten setzte, bekommen wir hier ein vollständig abgeschlossenes Spielerlebnis. Ein gutes Beispiel dafür, wie sauber sich ein ehemals mobiles Spiel anfühlen kann, wenn man es konsequent auf klassische Designprinzipien zurückführt.

Ist „Octopath Traveler 0“ das beste Spiel der Reihe? Darüber lässt sich streiten. Es ist nicht so fokussiert wie „Octopath Traveler 2“, nicht so klar strukturiert wie klassische SNES-Epen. Solltet ihr der englischen Sprache nicht mächtig sein, dürftet ihr das Spiel sowieso getrost vergessen. Ansonsten spürt man an manchen Ecken und Enden, dass das Spiel ein ungewöhnlicher Hybrid ist. „Octopath Traveler 0“ ist nicht perfekt, aber dafür ehrlich. Es will kein modernes Open-World-Monster sein, keine cineastische Hochglanzinszenierung. Es will ein Rollenspiel sein – im besten, altmodischen Sinne. Wer mit der etwas fragmentierten Story leben kann und kein Problem damit hat, dass nicht jede Figur maximal ausgearbeitet ist, bekommt hier ein umfangreiches, taktisch starkes und atmosphärisch dichtes JRPG.

Aussehen18 / 20
Soundtrack18 / 20
Spielspaß16 / 20
Story16 / 20
Umfang18 / 20

The good

  • Der HD-2D-Stil und der Soundtrack fangen das SNES-Gefühl perfekt ein.
  • Das neue Reihen-System macht die Rundenstrategie noch tiefer und spannender.
  • Keine In-App-Käufe oder Gacha-Mechaniken mehr – nur pures JRPG-Vergnügen.

The bad

  • Die Geschichte wirkt durch die episodischen Arcs manchmal etwas zerstückelt.
  • Eine deutsche Übersetzung fehlt leider komplett.

Bilder: Square Enix, Retro Gaming Crew

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